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Leitmedien in der Corona-Krise:

Zwischen Profit und Beschimpfungen

Wenn nur noch schnelles Geld, Nähe zur Macht und viele Klicks zählen, leidet der Inhalt.

Von Erich Kartmann

Die freie Presse ist in einer Demokratie unverzichtbar. Gerade in der Corona-Krise wurde deutlich, wie wichtig ein seriöser und ernstzunehmender Journalismus ist. Im »Stresstest« stellt sich nun aber heraus, dass auch die Leitmedien – besonders zu Beginn – in ihrer Corona-Berichterstattung weitestgehend eine ihrer wichtigsten Aufgabe verfehlt haben: als kritische Instanz das gesellschaftliche und politische Geschehen zu begleiten. Ein Grund dafür könnte der personelle Kahlschlag der Zeitungsredaktionen in den letzten Jahren sein. 


Seit drei Jahrzehnten sinken kontinuierlich die Auflagen der Zeitungen. Die Zeitungsverlage, die Wirtschaftsunternehmen sind, reagierten 2012 mit der größten Entlassungswelle seit 1949. Während es 2005 in Deutschland bei Zeitungen und Zeitschriften noch 48.000 festgestellte Journalisten gegeben hatte, waren es 2019 laut Statista nur noch 22.000. Und Anfang 2019 prognostizierte das britische Forschungszentrum Reuters Institute for the Study of Journalism, dass es in den kommenden Monaten wieder zur »größten Entlassungswelle für Journalisten seit Jahren« kommen könnte. Dann kam Corona.


PROFITEURE DER KRISE: DIE ZEITUNGSVERLAGE

Seit Beginn der Corona-Krise profitieren die Verlagshäuser massiv vom Verkauf des neuen Produkts »Corona«. Die Nachfrage nach politischer Presse und Wirtschaftstiteln ist deutlich angestiegen, teilt der Arbeitskreis Zeitungs- und Zeitschriftenverkauf mit. E-Paper gewannen über 11 Prozent und die Klickzahlen im Internet haben ungeahnte Höhen erreicht, vermeldet der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) in seinem Jahresbericht 2020. Auch beim Paid-Content hatten die meisten Verlage deutliche Steigerungen – bis zu 20 Prozent, teilweise noch deutlich darüber. Mathias Döpfner, BDZV-Präsident, benannte bereits im Mai 2020 bei der Digitalkonferenz Bebta den springenden Punkt: Die Folgen der Corona-Pandemie seien für digitale journalistische Nachrichtenangebote »vielleicht der historisch goldene Moment überhaupt«, die digitalen Zeitungsangebote seien »buchstäblich durch die Decke gegangen«, immer mehr Menschen bereit, für digitalen Journalismus zu bezahlen.


DER KAHLSCHLAG IN DEN REDAKTIONEN LÄSST DIE QUALITÄT LEIDEN


Den Verlagshäusern scheint allerdings nicht klar zu sein, dass ihr derzeitiger Verkaufserfolg des Produkts »Corona« langfristig ein Pyrrhussieg sein könnte. Er könnte nämlich teuer erkauft sein: a uf Kosten der Glaubwürdigkeit. Wie jedes journalistische »Produkt« ist auch das Thema »Corona« eine sehr empfindliche »Ware«, die stets mit größter Sorgfalt und Kompetenz »hergestellt« werden müsste. Die massiven Entlassungswellen der letzten Jahre haben aber unter anderem dazu geführt, dass Journalisten immer weniger Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben. Zudem werden immer mehr Freelancer beschäftigt, die – oftmals schlecht bezahlt – unter großem Druck arbeiten. Und dies hat Auswirkungen, die man nun merkt.


STRUKTURELLE DEFIZITE ÄUSSERN SICH JETZT UNAPPETITLICH


Trotz alledem konnte man sich bisher beim Qualitätsjournalismus in der Regel darauf verlassen, dass vor der Veröffentlichung die immense Informationsvielfalt professionell aufbereitet, eingeordnet und nach bestem Wissen und Gewissen überprüft wurde. Seit März 2020 zeigen sich besonders bei der Corona-Berichterstattung gravierende handwerkliche und inhaltliche Mängel.


Auffällig: In den letzten Monaten nahmen unappetitliche Beschimpfungen durch Journalisten zu, die so früher nur in den Social Media zu finden waren: Sebastian Herrmann in der Süddeutschen Zeitung: »Wie man Besserwisser zum Schweigen bringt«, Eugen Epp im Stern: »An alle, die jetzt wieder unter die Leute gehen: Seid ihr eigentlich komplett bescheuert?« und, schon in der Nähe von Hassrede, Sebastian Leber im Berliner Tagesspiegel mit der Überschrift: »Maskenverweigerer, ich verachte euch zutiefst«: »Die sind hochgradig asozial«. Ein merkwürdiges journalistisches Verständnis des Qualitätsjournalismus offenbarte Marietta Slomka in einem DLF-Interview am 26.3.2020: »... das sind jetzt keine investigativen Gespräche, bei denen ich einen Experten ... anfange zu grillen ... Das ist jetzt nicht die Zeit dafür.«


Ein Artikel Malte Lehmings im Berliner Tagesspiegel illustriert die Unfähigkeit oder Unwilligkeit von Journalisten, sich adäquat mit sachlicher Kritik an der Corona-Berichterstattung auseinanderzusetzen: »Wider die Mär von einer Kumpanei in der Corona-Bekämpfung«, so der Titel. Lehming stellt die Frage, woher das Misstrauen gegenüber einer freien (sic!) Presse komme und wer es schüre (sic!). Auf die Kritik Andreas Rosenfelders und Franziska Augsteins, die sich auf Analysen von Wissenschaftlern (unter anderem Klaus Meier und Vinzenz Wy ss, Claus Eurich, Dennis Gräf, Martin Henning, Michael Haller) beziehen, antwortet er allen Ernstes: »Medienschelte solcher Art düngt den Boden, der auch Verschwörungsmythen sprießen lässt«. Da stellt sich einfach nur noch die Frage: Borniertheit? Verblendung? Schweres kognitives Unvermögen? Oder alles zu- sammen? 


Erich Kartmann arbeitete nach dem Studium der Philosophie und Germanistik viele Jahre in der Redaktion einer Tageszeitung in Berlin. Vor rund zwölf Jahren hat er sich er als Übersetzer und Lektor selbstständig gemacht. 




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 34 am 22. Jan. 2021




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