DW: Herr Rosenthal, können Sie sich bitte unserer Leserschaft vorstellen und Ihre Situation als Künstler in unserem Land beschreiben.
Simon Rosenthal: Ich bin Bildender Künstler, im Orwell-Jahr 1984 im Saarland geboren. Nach Kindheit und Schulzeit in Nordrhein-Westfalen habe ich von 2004 bis 2009 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg Kunstgeschichte, Kunstdidaktik, Restaurierungswissenschaften und Philosophie studiert und bin 2009, nach einem Paris-Stipendium, an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden im Fachbereich Malerei und Zeichnung aufgenommen worden. Nach einigen Stipendien, meinem Hochschuldiplom und vier Jahren als Geschäftsführer einer Galerie, habe ich dann noch ein Studium der Kunsttherapie drangehängt. Im zweiten Jahr der Coronapolitik, 2021, war ich Lehrbeauftragter der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft bei Bonn. Heute lebe ich wieder in Bamberg. Bis zum Ende meines Studiums der Malerei habe ich recht akademisch gemalt, hatte Ausstellungen in ganz Deutschland, in ehemaligen Kirchen, in einer Synagoge und zum Teil namhaften Galerien, dann im Ausland in Saudi-Arabien, Japan, England und im EU-Parlament in Brüssel.
Ab 2019 habe ich meine Kunst formal und inhaltlich ziemlich radikal verändert: Von der Malerei ging es weg, hin zur Konzeptkunst, vom prozessualen Arbeiten und der Portraitmalerei hin zu zeitpolitischen Inhalten. Dabei legte ich den Fokus auf unsere eigene Innen- und Außenpolitik, was innerhalb der akademischen Kunstszene ein No-Go ist. Ich hatte aber das ganz dringende Gefühl, dass diese Schweigemauer, die ich in der Kunstwelt wahrnahm, unbedingt durchbrochen werden muss. Daraufhin hat die akademische Kunstwelt mich ausgespuckt, wie einen sauren Apfel. Aber dadurch war ich dann auch frei von ihrer zwanghaften Systematik.
DW: Die Staatsanwaltschaft Bamberg will Sie für eines Ihrer Kunstwerke zur Rechenschaft ziehen. »Volksverhetzung« lautet der Vorwurf. Was ist denn da los?
S. R: Im Jahre 2020-2021habe ich eine Serie von Digitalcollagen zur Coronapolitik gemacht: Die ikonischen Chanel-Flakons, die ja mittlerweile sehr bekanntgeworden sind (DW berichtete mehrfach, zuletzt im Zusammenhang mit der ERSTEN ALTERNATVEN MEDIENMESSE in Berlin am 28. und 29. März 2025, an der Rosenthal teilnahm; red.). Sie begleiteten den Diskurs und legten immer den Finger in die Wunde. So thematisiere ich in der ersten Arbeit – »Chinavirus« – den Laborursprung von Sars-Cov-2, was damals als »Verschwörungstheorie« galt. Im Weiteren kommen die »Ländermutanten« dran, die mehrere Monate ein Dauerbrenner in den Systemmedien waren, bis einer auf die Idee kam, dass es ja »Rassismus« sei, eine mutmaßliche Virusmutation zum Beispiel als »Indische Mutante« zu bezeichnen. Entschuldigt hat sich allerdings auch niemand von denen für ihren monatelangen »Rassismus«. Dann stellte sich die Frage, ob es nicht auch eine »Deutsche Mutante« gäbe – es hätte übrigens Mutation heißen müssen.
Politik und Medien arbeiten seit dem Beginn 2021 fieberhaft daran, die Worte »Impfen« und »Freiheit« immer enger zusammenzubringen. Da war Söder mit »Wir impfen uns zurück in die Freiheit« bis zur Projektion des Künstlers Leon Löwentraut am Düsseldorfer Fernsehturm »IMPFEN = FREIHEIT« und ohne »Impfung« war man ja auch de facto nicht frei. Die »Deutsche Mutante« trat dann im August 2021 in der Gestalt von Thomas Huber, Mitglied des Bayerischen Landtages der CSU, hervor, der twitterte »#ImpfenMachtFrei«. Es hat mich völlig umgehauen, dass ein Mitglied der »Guten«, die noch im April 2021 für Bayern gesetzlich festgezurrt hatten, dass jedes In-Verbindung-Bringen der Coronapolitik mit der Nazidiktatur eine Straftat darstellt …
Nach einem Freispruch vor dem Amtsgericht Bamberg im Herbst 2024 ist die Staatsanwaltschaft mit ihrem Revisionsantrag durchgekommen, sodass es nun wahrscheinlich noch in diesem Jahr eine Neuauflage meines Falles gibt. Oberstaatsanwalt Maximilian Weihrauch, der ja schon bekannt ist aus diversen Prozessen in Bamberg, will mich drankriegen, mein Kunstwerk zensieren. Der Staat gibt sich seit einigen Jahren, wie der alttestamentarische Gott: Strafend, zürnend, beleidigt, rechthaberisch, narzisstisch und niemals vergebend. In meinen Augen delegitimiert sich der Staat aber selbst, wenn er Grundrechte, wie das der Kunstfreiheit, der körperlichen Unversehrtheit, der Meinungsfreiheit et cetera angreift.
DW: Sie wurden also wegen einer ihrer künstlerischen Darstellungen angeklagt. Aber Sie haben damit doch niemanden persönlich angegriffen, wie zum Beispiel in »Anachronistischer Zug« (1977), dem Theaterstück von Peter Weiss, in dem Strauß mit Hitler verglichen wurde und dessen Strafanzeige wegen Beleidigung zurückgewiesen wurde. Kunst darf ausdrücklich übertreiben, provozieren und verfremden, wie ja auch Ihr Freispruch von 2024 bekräftigt hat. Was ist also der erneute Vorwurf?
S.R: Tatsächlich ist der neuere Vorwurf gegen mich – gerade im Kontext von bekannten Bamberger Fällen wie der »Schwachkopf-Affäre« (DW berichtete), besonders bizarr: Die Oberstaatsanwaltschaft wirft mir vor, dass ich Huber in meinem damaligen Posting eben gerade nicht namentlich erwähnt habe. Daraus will sie mir einen Strick drehen und mein Kunstwerk als »Holocaustverharmlosung« abstrafen. Ob Thomas Hubers Tweet »Volksverhetzung« darstellt – darüber hingegen schweigt man sich tot. Tatsächlich habe ich schon in der ersten Hauptverhandlung gesagt, warum ich ihn nicht genannt habe: Eben genau weil ich befürchtete, dann persönlich mit diesem Subjekt Schwierigkeiten zu bekommen … Wenn ich ihn erwähnt hätte, wäre ich wahrscheinlich der »Majestätsbeleidigung« beschuldigt worden.
»HUBER WOLLTE GERN IM
KUNSTWERK ZITIERT WERDEN«
DW: Eingriffe in die Kunstfreiheit sind nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig, insbesondere wenn überragende Rechtsgüter wie Menschenwürde (Art. 1 GG) verletzt werden. Eine bloße Provokation, Zuspitzung oder Kritik am Staat, an Politik oder an gesellschaftlichen Akteuren stellt nach der Rechtsprechung keine strafbare Handlung dar, sondern ist ein zulässiger Beitrag im Rahmen der demokratischen Auseinandersetzung. Wie sehen Sie das Revisionsverfahren?
S.R: Nun, es zeigt den Zustand unseres Landes. Die Staatsanwaltschaft ist im Begriff, einen Verfassungsbruch zu begehen, denn die Kunstfreiheit schützt sowohl den Werkbereich – also alles, was zur Erstellung eines Kunstwerkes gehört, auch alles Ungesagte und Subjektive –, wie auch den Wirkbereich, also jede Form von Veröffentlichung, sogar den Verkauf. Kunst ist mehr als nur Meinung und kann nur durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt werden. Die Hürden sind da allerdings sehr, sehr hoch. Alles das sind Konsequenzen aus dem, was die Nazis seinerzeit mit widrigen Künstlern und Kunstwerken gemacht haben. Meinen geschätzten Kollegen CJ Hopkins hat der Staat auf demselben Instanzenweg verurteilt, wie sie das mit mir versuchen, sodass er eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht hat. Und das werde ich auch tun, wenn es sein muss. Die Kunst muss unbedingt frei bleiben.
DW: Herr Rosenthal, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Die Fragen stellte Alexandra Motschmann von Richthofen, für den DW redaktionell gekürzt.
Hinweise:
»Jedes Urteil gegen die Kunstfreiheit ist ein gefährlicher Präzedenzfall für zukünftige Notlagen, in denen Künstler sich gegen Unrechtsregimes stellen«, so Simon Rosenthal, »allerdings kostet eine Verfassungsbeschwerde circa 10.000 bis 15.000 Euro« (Paypal-Spendenverbindung zu Rosenthal auf atelier-simon-rosenthal.de).
Am 18. September 2025 eröffnet um 19 Uhr die neueste Einzelausstellung von Simon Rosenthal »DEN ZORN SINGEN« in der Galerie »Zentrale Randerscheinung« in Leipzig. Mit dabei ist auch das beklagte Kunstwerk »German Mutant« (siehe Artikelbild).