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Über die Gier

EINWURF von Werner Köhne

Von Werner Köhne

»W

ir haben die Lust am Leben eingetauscht gegen die Gier, nicht sterben zu müssen.« Dieses Zitat des österreichischen Philosophen Peter Strasser macht mich immer wieder fassungslos und betroffen angesichts seiner Treffsicherheit bezogen auf die laufenden Ereignisse in den letzten 20 Monaten.


Wenn das Corona-Geschehen gemäß eines existential-anthropologischen Tiefenblicks bestimmt werden sollte, dann durch den Gegensatz von Lust und Gier. Gier gehört bekanntlich zu den sieben Todsünden, wird aber meist als eine Art Unersättlichkeit – einem sinnlosen »Immer-mehr-wollen« – verstanden. In diesem Zitat zeigt sich Gier aber als extremer Gegenpol zur Lust auf Leben – was nichts anderes bedeutet , als dass sie sich blind darauf richtet, die Lust auf Leben zu verweigern, um so dem Tod zu entgehen.

Es ist ja zweifellos in der DNA des Menschen angelegt, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Im jetzigen Corona-Szenario aber kommt etwas hinzu, was uns selbst aus dem Kosmos einer condition humaine weit herausschleudert in einen Kosmos des Inhumanen. Hier sollten sich die Corona-Beschwörer angesprochen fühlen: Sie beschwören nicht nur einen blinden Alarmismus herauf; Sie kehren auch das Verhältnis von Leben und Tod um, indem sie das Leben als nackten Drang zur Selbsterhaltung missdeuten, andererseits den Tod als Endpunkt in absoluten Gegensatz zum Leben setzen. Sie verfehlen dabei beides und zwingen uns ein Dasein als Zombie auf.

In diesem Zusammenhang sei auf Jean Baudrillard verwiesen, der unsere Kultur eine »Kultur des Todes« genannt hat. In ihr hätten wir es verlernt, dass es nur in einem symbolischen Tausch zwischen Leben und Tod gelinge, Lebensfreude mit Gelassenheit zu verbinden. Die abstrakte Gier auf ein »Nicht-sterben-müssen« aber sei ein tödliches Konzept für unser Leben, ja deformiere uns. Diese Deformation aufzuhalten, sollte wichtigstes Ziel jeden Widerstandes sein. Neulich fuhr ich in einem Bus. An einer Haltestelle stiegen Schulkinder zwischen acht und 13 Jahren ein – mit Masken. Was auffiel: Sie sprachen nicht miteinander, tollten nicht herum – wie früher. In
ihnen schien die Lebensfreude erloschen. Allein dafür müsste es mal ein Nürnberger Tribunal geben.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 69 am 12. Nov. 2021




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