Die Ökonomen haben ihre  Rechnung  ohne  die  Wirte  gemacht.  Führende Wirtschaftsinstitute dachten nämlich noch im Frühsommer, nach der vorläufigen Lockerung  der  Corona-Maßnahmen und  einer  deftigen  Injektion  von frischem Geld würde die deutsche Wirtschaft wieder richtig Fahrt  aufnehmen.  Im  Juni  gingen  die  Gurus  noch  von  einem  Wirtschaftswachstum  in  diesem  Jahr  von  3,2  bis  3,9  Prozent  aus.  Jetzt  müssen sie ihre Wachstumsprognosen  glatt  um  ein  Drittel  nach  unten schrauben. 
Das  Kieler  Institut  für  Weltwirtschaft geht  jetzt  nur  noch  von  einem  Wachstum von 2,6 Prozent aus. Das Deutsche Wirtschaftsinstitut  in  Berlin  glaubt  gar  nur  noch  an  ein  Wachstum  der  Wirtschaft um 2,1 Prozent. Die Ökonomen gingen eigentlich davon aus, dass es eine leichte Kür ist, die gewaltigen Einbußen in der Wirtschaftsleistung im bizarren Corona-Jahr 2020 einfach 
wieder  gutzumachen.  Doch  nun  breitet  sich Katzenjammer aus: »Die Hoffnung, die  man  noch  vor  einem  halben  Jahr  hatte,  dass  sich  die  Fesseln  im  zweiten Halbjahr lockern, sind verflogen.«, sagt  Andreas  Scheuerle,  Ökonom  beim  Wertpapierunternehmen der Sparkassen, der Deka. 
Es gibt ein paar Faktoren, die vermutlich eine Erholung der Wirtschaft auf Vor-Corona-Niveau einstweilen in weite Ferne rücken lassen. Da ist die Angst vor einem vierten Lockdown. So schreibt das Handelsblatt Research Institut: »Der von manchen prognostizierte Post-Corona-Boom dürfte der vierten Pandemiewelle zum Opfer fallen.« Man ist sich also schon ziemlich sicher, dass die Corona-Daumenschrauben im Herbst und Winter angezogen werden. Entsprechend ist der Ifo-Geschäftsklimaindex schon zum dritten Mal in Folge gesunken. Beim Geschäftsklimaindex handelt es sich um das Ergebnis einer Umfrage bei 9.000 Managern in Deutschland: Wird sich die Situation für das Unternehmen in der nächsten Zeit voraussichtlich verbessern oder verschlechtern? Und die befragten Herren und Damen erwarten eher Verschlechterungen. Da ist zum einen die bereits eingepreiste Pandemieverschärfung, die vorausgesagt wird. Und das, obwohl bei einem erneuten Lockdown wohl nur noch die Ungeimpften eingesperrt werden.
Mit  Corona  haben  auch  die  Lieferengpässe  zu  tun,  die  einfach  nicht  enden  wollen. In Ningbo in China befindet sich der weltweit größte Containerhafen. Wegen  eines  einzigen  Corona-Falles 
wird der komplette Betrieb aufgehalten. So  zumindest  die  offizielle  Erklärung. Und so kommt es, dass im verarbeitenden  Gewerbe  immer  mehr  Räder  still  stehen, weil unverzichtbare Zubehörteile nicht eintreffen. Autohersteller brauchen für ihre computerisierten Fahrzeuge Halbleiter. Die sind aber kaum noch zu haben. Dabei platzen die Auftragsbücher in den Branchen Automobil, Elektronikartikel  und  Verpackungsmaterial  aus allen Nähten: »Die Lücke zwischen Auftragseingängen und Industrieproduktion klafft immer weiter auseinander  und  nimmt  gegenwärtig  vor  allem  aufgrund  fehlender  Vorprodukte  historisch nicht gekannte Dimensionen an.«,  sagt  Gabriel Felbermayr,  Leiter des Kieler Weltwirtschaftsinstituts dem Handelsblatt.
LEBENSHALTUNGSKOSTEN 
WERDEN IMMER HÖHER
Die Inflation dagegen nimmt Fahrt auf: Die Inflationsrate lag im August bei 3,9 Prozent. Und ob diese von Destatis vorgelegte  Zahl  das  Ausmaß  der  Teuerungen für die Bevölkerung angemessen darstellt, darf bezweifelt werden. Einige Zahlen  dazu:  Heizöl  ist  im  August  um  30,9 Prozent teurer geworden, Gemüse um neun Prozent und Nahrungsmittel  allgemein  um  4,5  Prozent  teurer. Damit kommen wir zum nächsten Faktor für die Stagflation – also dafür, dass die  Wirtschaft  stagniert,  obwohl  Regierungen  und  Zentralbanken  in  gigantischer  Dimension  Geld  gedruckt  und  in  Umlauf gebracht haben. 
Denn  die  Preise  steigen,  aber  die  Löhne sind im freien Fall befindlich. Denn auch  der  effiziente  Arbeitskampf  der Eisenbahner  konnte  nicht  verhindern,  dass  die  Löhne  weit  zurückfallen hinter  die  Preissteigerungen.  Die  Gewerkschaften gehen von einem Rückgang des Tariflohns  um  0,2  Prozent  aus.  Allerdings  genießen schon  lange  nicht  mehr alle Arbeiter und Angestellten einen Tariflohn. Die großen deutschen Ökonomen  gingen  ganz  selbstverständlich  davon aus, dass die Konsumenten nach dem Ende des Lockdowns in die Einzelhandelsgeschäfte rennen und fieberhaft einkaufen. Das ist jedoch nicht passiert. 
Die Leute haben Angst und sitzen lieber auf ihrem Geld, bis sichere Zeiten anbrechen. Die Sparquote lag im Corona-Jahr 2020 bereits bei 16,1 Prozent. Im Vorjahr befand sie sich noch bei 10,8 Prozent. Und dieses Jahr wird die Sparquote voraussichtlich auch noch bei 15,3 Prozent liegen.
EINE LANGWIERIGE 
KRISE HAT BEGONNEN
Der  große  rosa  Elefant  steht  mitten  im  Raum  –  und  keiner  will  ihn  bemerkt  haben. Außer dem Demokratischen Widerstand  in  Ausgabe  59.  Der  Elefant heißt: Stagflation. Frisches Geld in 
den Wirtschaftskreislauf einzuspeisen kann Sinn machen, wenn die Wirtschaft lahmt. Allerdings muss das frische Geld dann  rasch  in  reale  Aktivität  und  Produkte  umgewandelt  werden.  Zum  Beispiel dadurch, dass man Löhne und Renten  drastisch  anhebt,  wie  das  in  China  jetzt  gerade  geschieht.  Sind  jedoch  die  Arterien der Wirtschaft verstopft, dann geht die Formel mit dem frischen Geld nicht auf. Und es gibt gleich eine ganze Reihe von Arterienverstopfungen. 
Der anerkannte US-amerikanische Ökonom Nouriel Roubini trägt den Spitznamen »Dr. Doom«, also etwa »Dr. Verderben«. Denn er hatte sich schon als Spielverderber  hervorgetan,  als  er  den  großen Bankenkrach von 2008 als Einziger vorhersagte. Und seinem Ruf wird Roubini auch jetzt gerecht. Als Einziger neben dem DW wagt Roubini zu sagen: Im Augenblick gibt es eine »milde Stagflation«. Die ist bedingt durch Engpässe bei  Arbeitskräften  und  Gütern.  Zudem  haben  die  Zentralbanken  ihr  zentrales  Steuerelement, nämlich je nach konjunktureller Lage die Leitzinsen zu erhöhen oder zu senken, mit ihrer Nullzinspolitik längst verwirkt. Und auch das  Mittel  der  so  genannten  Quantitativen Lockerung greift nicht mehr: dass nämlich  die Zentralbanken  massenhaft  Wertpapiere ankaufen und damit weiteres Geld in Umlauf bringen. 
Die augenblicklich von der Corona-Politik  verursachten  Lieferengpässe  könnten  jedoch  langfristig  in  eine  für  Jahre  anhaltende  Dauer-Stagflation  übergehen.  Verantwortlich  ist  zum  einen  die  
De-Globalisierung, die durch die kriegerischen Provokationen der Nato hervorgerufen wird. China und andere Staaten im  Nato-Fadenkreuz  ziehen  sich  vom Welthandel  zurück  und konzentrieren  sich  auf  den  Binnenmarkt.  Zum  anderen trage die Alterung der Bevölkerung in  den  reichen  Ländern  zu  einer  Dauer-Stagflation bei, meint Roubini. Und schließlich noch der Klimawandel, der die Lebensmittelpreise weiter durch die Decke schießen lässt.
Die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl haben offenbar jenen Kräften den Rücken gestärkt, die die Stagflation zu verantworten haben. Und die – mit dem Cum-Ex-, Wirecard- oder Geldwäscheerfahrenen SPD-Politiker Olaf Scholz als neuen Bundeskanzler – munter in die von Roubini aufgezeigten Untergangsstraßen einzubiegen beabsichtigen. Liebe Wähler, habt Ihr das wirklich so gewollt?
Hermann Ploppa ist Buchautor und Chef des Wirtschaftsressorts dieser Zeitung.
