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Interview

DIE GRENZEN DES SAGBAREN

Der Philosoph und Schriftsteller Gunnar Kaiser über die Zensur auf den Konzernplattformen, verspätete Freiheitskämpfer und den inneren Konflikt eines demokratieliebenden Springer-Journalisten. | INTERVIEW

Von Sarah Schmidt

DW: Sie arbeiten mit dem Video­format. Big Tech hatte Sie am Anfang der Corona­Zeit gar nicht so sehr im Visier. Als dann das erste Video vom Youtube­Konzern
aus Netz verbannt wurde, hatten Sie mit regelmäßigen Löschungen zu kämpfen. Wie gehen Sie und Ihr Team damit um?

Gunnar Kaiser: Ich habe das Gefühl, es ist etwas wilder geworden. Man weiß gar nicht mehr: Was darf man jetzt noch? Videos waren monatelang gelöscht, der Widerspruch wurde schon eingelegt und auch abgelehnt und dann sind sie wieder wie von Geisterhand erschienen. Das ist die totale Willkür. Auf der anderen Seite weiß man genau, weil es einen gewissen Katalog von Dingen gibt, was man nicht sagen darf. Das kann man dann abgleichen und auch ausprobieren. Meistens sind es jetzt nämlich Interviewpartner, die dann zum Beispiel sagen: »Die Masken nützen ja nix. Das wissen wir ja.« Dafür wird dann ein ganzes Video von anderthalb Stunden gelöscht, weil diese eine Sekunde drin ist.


DW: Und wie handhaben Sie das dann in der Situation?
Wenn wir das wissen, zensieren wir es tatsächlich. Und auch mit großer Scham uns selbst gegenüber, weil wir uns selbst zensieren, um auf Youtube weiter bestehen zu können. Wir markieren das aber mit dem Hinweis: »Diese Stelle ist – um sie vor der Wahrheit zu schützen, lieber Zuschauer – zensiert worden. Sie können das Original dann bei Odysee oder bei Bitchute nachhören.« Aber das kann nicht der Sinn der Sache sein. Ich versuche dann diese wissenschaftlichen Sachen ein bisschen zu umgehen oder ein bisschen zu verstecken auf anderen Kanälen, aber dafür die philosophische, politische und gesellschaftliche Ebene noch zu stärken, weil die eigentlich nicht gelöscht wird. Da konnte ich bisher immer sagen, was ich wollte.


DW: Was darf man denn laut You­tube noch alles nicht so sagen?
Zum Beispiel, dass Kinder nicht an Covid-19 erkranken beziehungsweise schwer erkranken. Ich glaube, dass man auch nicht sagen darf, dass Schulen keine Treiber der Pandemie sind oder dass Covid nicht gefährlich ist. Man darf es auch nicht mit der Grippe vergleichen. Es sind noch mehrere Sachen. Ich gucke die auch nicht alle immer durch. Das macht dann tatsächlich mein Team. Schon während des Interviews. Das hatten wir gerade letztens. Da haben wir mit Christoph Lütge, Professor für Philosophie aus München, gesprochen und er sagte irgendwas und ich sagte ihm dann: Wissen Sie Herr Lütge, jetzt ist es schon so weit, dass mein Team sich da hinten Notizen macht: »Ah, Minute 1:38, stumm schalten wegen Hassrede.«
(lacht)


DW: Während Big Tech weiterhin fleißig kritische Stimmen löscht, berichten die Bild und Welt dann doch ab und an mal kritisch. Was denken Sie darüber? Denken Sie, dass das authentisch gemeint ist?
Ja, das ist authentisch. Davon bin ich relativ überzeugt. Ich kenne ein paar Leute von der Welt auch schon länger vor der Krise. Und ich halte sie für gute Journalisten. Und sie sind da jetzt nicht Teil des Spiels und kontrollierte Opposition. Sie sprechen auch mit mir und ich habe Kontakt mit ihnen und sie sagen, dass sie versuchen, dieses Narrativ zu zerschießen, aber sie dürfen nicht alles sagen. Oder sie formulieren es so: Der Raum des für uns Sagbaren ist enger als deiner. Deswegen sind sie sehr kritisch, aber sie müssen auch immer wieder trotzdem diese Impfpropaganda fahren. Die kommt dann trotzdem dahin. Die Frage ist nur: Warum gerade die Springerpresse und sonst noch die NZZ und keine anderen? Und warum gerade die? Und nicht die Süddeutsche und nicht die taz? Wer ist verantwortlich für diese Ausrichtung? Welche Ideologie ist dahinter? Aber da bräuchte es wahrscheinlich ganze Bücher. Man könnte auf jeden Fall auf das Buch von Marcus Klöckner »Zombie-Journalismus« verweisen.


DW: Bis es überhaupt zu kriti­schen Artikeln kam, hat es sehr lange gedauert und die Impfung ist tatsächlich unantastbar. Im Spiegel gab es zum Beispiel den Arti­kel »Fünf Gründe, warum Herde­nimmunität vielleicht nie kommt – aber impfen trotzdem hilft«.
Ja, solange dieses Grund-Narrativ nicht angetastet wird, kann man jetzt auch schon zurückrudern oder Dinge gerade stellen oder differenzieren. Auch mit dem PCR-Test zum Beispiel, der vorher so der Goldstandard war und jetzt Drosten selbst sagt, dass der PCR-Test einfach nicht perfekt genug ist. Aber das Grund-Narrativ »Die Impfung bringt uns alle da raus« bleibt. Oder es wird berichtet, dass die Bundesregierung nicht schnell genug Impfstoffe bestellt hat. Das ist so eine Art kritisieren an der Oberfläche, was ja auch nicht das Richtige trifft. Und wenn überhaupt zu spät. Denn wie Sie sagen, das was die Bild macht, kommt einfach viel zu spät. Auch das was einzelne Politiker machen. Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, Wolfgang Kubicki. Das kommt jetzt nach anderthalb Jahren. Da kann ich doch nur mit den Achseln zucken und sagen: Lasst das stecken. Ihr müsst euch jetzt nicht als die großen Freiheitskämpfer verkaufen.


Die Fragen stellte Sarah Schmidt.





Dieser Text erschien in Ausgabe N° 62




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