DW: Was lief bisher im Umgang mit der Pandemie schief?
Knut Wittkowski: Lockdowns. Alle Formen der Versuche, die Ausbreitung der Epidemie zu verlangsamen, tragen dazu bei, die Zahl der Todesfälle drastisch zu erhöhen. Ich beziehe mich jetzt mal auf die USA. Das kann man leicht auf die deutsche Situation übertragen. Hätte die Regierung nichts gemacht, mit der einzigen Ausnahme, die Altersheime zu isolieren, dann hätte es in den USA insgesamt circa 50.000 Tote gegeben. Im Augenblick sind wir bei 600.000 und die Zahlen steigen weiter an. Das bedeutet, dass die Regierungen durch ihre unsinnigen Freiheitsbeschränkungen die Zahl der Todesfälle mehr als verzehnfacht haben.
Was hätte gemacht werden sollen?
Wenn sich nur die Alten und Kranken isoliert hätten, hätte sich der Virus unter den Jungen und Gesunden ausgebreitet. Etwa 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung hätten ein oder zwei Tage die Grippe gehabt und dann wäre die ganze Geschichte vorbei gewesen, weil wir Herdenimmunität erreicht hätten. Und von den Alten und Schwachen wären sehr wenige betroffen gewesen. Wenn jetzt alle ihrer Freiheit beschränkt werden, haben die vulnerablen Gruppen keinen Vorteil davon. Denn dann breitet sich der Virus in allen Bevölkerungsgruppen gleich aus. Im Endeffekt infizieren sich so viel mehr gebrechliche Menschen, und das sind die, die sterben. Das ist Basis-Epidemiologie.
Gibt es denn überhaupt sinnvolle Lockdowns?
Wenn man die Gefahr vor Augen hat, dass das ganze Gesundheitssystem zusammenbricht, dann ist ein Lockdown vertretbar. Ich kann sogar verstehen, dass die Menschen und Regierungen im letzten März Angst hatten, weil die Situation in Italien nicht gut aussah. Nur hat das Land auch eine spezielle Situation. Nach Japan hat Italien die älteste Bevölkerung von allen Staaten in der Welt. Das andere Problem ist, dass das Gesundheitssystem bei Weitem nicht so robust und so gut ausgestattet ist wie in Deutschland. Doch schon im April hätten die Menschen aufatmen können. In den USA hat Robert Redfield, der damalige Direktor der Centers for Disease Control (Seucheneindämmungsbehörde, Red.), am 17. April 2020 wichtige Daten zum Coronavirus im Weißen Haus vorgelegt.
Was hatten sie heraus gefunden?
Es wurde klar, dass der Spitzenwert der Anzahl an Covid-Patienten in Krankenhäusern bereits Geschichte war. Es gab keine Menschen mehr, die im Krankenhaus erschienen. Damit hätte man zu dem Zeitpunkt einfach aufhören können mit den Lockdowns. Es hätte drei bis vier Wochen Lockdown gegeben und das wäre nicht so dramatisch gewesen. Doch wenn die Epidemie länger dauert als drei Monate, dann ist das genug Zeit für den Virus, Fluchtmutationen zu entwickeln. So wird der Virus resistent gegen die Herdenimmunität, die die Menschen entwickelt haben. Es entsteht ein neuer Virus und der breitet sich genauso aus wie der Virus davor. Das heißt, dass die Lockdowns erfolgreich einen neuen Virus produziert haben. Das ist dann noch weitere Male passiert.
Was sagen Sie zu den unterschiedlichen Mutanten und ihrer Gefährlichkeit?
Es könnte Mutanten geben, die sich besser ausbreiten. Das ist möglich und das ist gut für den Virus, da der Virus versucht, seine Ausbreitungs-Chancen zu verbessern. Aber da ist auch ein sehr positiver Aspekt dabei. Ein Virus, der den Menschen umbringt, reduziert die Chance, sich auszubreiten. Das heißt: Alle Infektionen, die zum Tode führen, sind schlecht für den Virus. Wenn die Menschen richtig krank sind und zu Hause bleiben, ist das auch nicht gut für den Virus. Das Beste für den Virus ist: Alle werden angesteckt und keiner merkt es. Das ist das Ziel von Viruskrankheiten. Im Laufe der Zeit werden sie immer unauffälliger. Wir leben mit Hunderten von Viren. Das kriegen wir nicht mal mit.
Was sagen Sie zu den aktuellen Impfungen?
Impfungen helfen, wenn Impfungen wirken. Mit einer Impfung verkürzt man den Zeitraum bis zur Herdenimmunität. Wenn das schnell genug geht, dann ist das sinnvoll. Außerdem ist es wichtig, dass man die richtigen Leute impft. Jemand, der schon Antikörper hat, muss nicht mehr geimpft werden. Kinder sollten nicht geimpft werden, da sie nicht krank werden. Es ist auch kein Argument, dass man die Ausbreitung verhindert. Wir wollen die Ausbreitung ja haben. Je schneller sich der Virus ausbreitet, desto schneller ist es vorbei. Doch es gibt ein weiteres Problem: Impfungen verkürzen die Zeit bis zur Herdenimmunität und Lockdowns tun das Gegenteil. Wenn man also beides zur gleichen Zeit macht, macht das ungefähr so viel Sinn, wie wenn man im Auto sitzt und gleichzeitig aufs Gas und die Bremse tritt.
Das Handeln der Politik scheint genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was der Bevölkerung nützen würde. Wann endet dass?
Als Epidemiologe kann ich Ihnen sagen, was eine Epidemie macht. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was Politiker machen. Das Problem ist, dass die Politiker im Juni gewusst haben, dass die ganzen Lockdowns Unsinn sind. Das Dumme ist, dass sie dann hätten eingestehen müssen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Doch ein Politiker tut alles, um nicht einzugestehen, dass er einen Fehler gemacht hat. Also musste man weitermachen, bis man einen Punkt erreicht hat, um zu sagen: Das ist das, worauf wir gewartet hatten. Dummerweise hat das mit den Impfstoffen nicht funktioniert.
Warum?
Es sah auch erstmal gar nicht so schlecht aus. Aber im Augenblick sind wir an einem Punkt, wo jeder sehen wird, dass die Impfstoffe – zumindest die, die wir jetzt haben – nicht wirken. Und die Industrie hat gesagt, dass wir erst gegen Ende des Jahres neue Impfstoffe haben werden. Aber bis dahin haben wir auch neue Viren und irgendwann kriegt das auch der Dümmste mit. All das mit den griechischen Buchstaben. Ich habe mal chinesische Zeichen vorgeschlagen, die reichen dann wenigstens für ein paar Jahre. Die Lösung wäre, dass wir den Politikern eine goldene Brücke bauen. Die brauchen jetzt etwas anderes als einen Impfstoff. Wir müssen den Politikern etwas an die Hand geben, das einen Ausweg bedeutet. Es gibt einen Ausweg aus dieser Krise. Die Politiker müssen es nur wollen.
Die Fragen stellte Sarah Schmidt.
Dr. Knut Wittkowski ist Infektionsepidemiologe und Biostatistiker und arbeitete an der Rockefeller-Universität, New York.
Sarah Schmidt ist studierte Germanistin und Philosophin. Sie arbeitet als freie Journalistin für Radio und Print.