Kommentar

Bilanzbetrug: Die Prüfer prüfen sich selbst

Wirecard, Greensill und kein Ende: Die Finanzaufsicht ist eine Fata Morgana

Von Hermann Ploppa

Es sind im Moment vornehmlich Finanzskandale, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für einige Sekunden vom Dauerkopfschmerzthema »Corona«, dicht gefolgt von Corona und noch mal Corona, ablenken können.

Da hat der digitale Bezahlservice Wirecard im Laufe der Jahre phänomenale Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro im virtuellen Dschungel Südostasiens vorführen können. Und die Bremer Greensill Bank hat mal eben ein Loch von 3,3 Milliarden geschossen. Und wieder hat’s keiner gemerkt. Wir leben ja in einer außerordentlich gut strukturierten Gesellschaftsordnung in Deutschland. Kein Staubkorn, das nicht registriert wird. Aber bei solchen gigantischen Geldsummen hat die gesetzlich vorgeschriebene Banken- und Finanzaufsicht tief geschlafen.

Zwar nicht siebenhundert Jahre wie dereinst Kaiser Rotbart Lobesam, aber immerhin musste die zuständige Aufsichtsbehörde Bafin mit unsanfter Gewalt und der Drohung strafrechtlicher Konsequenzen aus ihrem Tiefschlaf gerissen werden. Denn ein Whistleblower hatte die Bafin bereits im Februar 2019 über das Nichtvorhandensein der sagenhaften 1,9 Milliarden Euro Einlagen bei Wirecard aufmerksam gemacht. Als ein Redakteur der Zeitung Financial Times den Fall zum Thema machte, wollte der Bafin-Vorstand den guten Mann sogar vor den Kadi zerren. Jetzt stellen logischerweise einige Untersuchungsausschüsse die unbehagliche Frage, warum die Bafin auf der ganzen Linie versagt hat. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – so der bürgerliche Name der Bafin – wurde im Jahre 2002 gegründet. Sie ist keine staatliche Behörde, sondern eine Anstalt des Öffentlichen Rechts, geradeso wie ARD und ZDF

Die zu beaufsichtigenden Finanzinstitute bezahlen durch Abgaben die Bafin. Das soll sie von Regierungen jeglicher politischen Färbung unabhängig machen. Gute Idee. Von ihrer personellen Ausstattung her kann die Bafin unmöglich überfordert sein. Denn bei der Bafin arbeiten immerhin 2.722 Angestellte, und 158 zusätzliche Ärmelschonerträger sind gerade beantragt. Es ist wohl eher das Weltbild der Bafin-Mitarbeiter, das der Gemeinschaft Probleme bereitet. Die Herr- und Damschaften sind dem Korpsgeist der Finanzwirtschaft zutiefst verbunden. Das zeigte sich, als 85 Bafin-Mitarbeiter Anfang 2020 ihre Informationsvorteile für Insidergeschäfte auszunutzen wussten. Und der gerade frisch geschasste Bafin-Chef Felix Hufeld arbeitete früher bei Boston Consulting, Dresdner Bank, Marsh & McLennan Companies, Agora, Westlake Partners oder Inex 24 AG – alles Unternehmen, die für die Reichen und Schönen dieser Welt Geld anlegen, das sich dann ganz schnell vermehrt. Hufelds mutmaßlicher Nachfolger Mark Branson hat vorher bei UBS und Credit Suisse gearbeitet.

Es liegt auf der Hand, dass den genannten Personen ein Rollenwechsel schwer fällt. »Fehlleistungen« der Bafin haben über die Jahre systemischen Charakter angenommen. Erinnert sei an die längst vergessenen Skandale: Infinus im Jahre 2004. 22.000 Anleger verloren damals drei Milliarden Einlagen; Prokon: 75.000 Sparer verloren mit einem Schlag 1,4 Milliarden Euro; PIM-Gold verkaufte Gold, das nie da war. Kleinanleger verloren 155 Millionen Euro. Der Schiffscontainermakler P&R fuhr eine Einlagesumme von 3,5 Milliarden Euro von 54.000 Sparern aufs Riff.

GELD DER SPARER VERZOCKT

Das Elend wird sich auch nicht durch inhaltslose Worthülsen von Bundesfinanzminister Olaf Scholz wegpusten lassen wie ein Wehweh bei kleinen Kindern. Die Bafin solle »den Anspruch haben, sich mit den besten Aufsichtsbehörden der Welt zu messen – oder gleich der Beste sein zu wollen«. Tut mir leid, aber es geht immer wieder um das Geld der sogenannten kleinen Leute, das hier verzockt wird. Im Falle von Greensill sind insgesamt über 50 Kommunen in Deutschland über Nacht viel Geld losgeworden. Die Stadt Monheim hatte 38 Millionen Euro bei Greensill angelegt. Der Zinsertrag sei bei Greensill etwas höher gewesen als handelsüblich, so die Argumentation. Aus demselben Grund hatte die Stadt Osnabrück 14 Millionen Euro bei Greensill angelegt. Doch das Geld ist unwiderruflich verloren. Denn die im Prinzip sehr sinnvolle Einlagensicherung, mit der alle deutschen Banken für Zahlungsausfälle ihrer Mitglieder geradestehen, deckt nur potentielle Verluste von Privatkunden sowie Verluste an Einlagen sogenannter rechtsfähiger Stiftungen ab. Das haben die Stadtväter und -mütter aber doch wohl gewusst, nehme ich an. Das öffentliche Vermögen darf definitiv nicht auf dem Roulettetisch international gewiefter Zocker aufs Spiel gesetzt werden. Rien ne va plus! Tout de Suite!

Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Öffentliches Vermögen muss im öffentlichen Geldkreislauf verbleiben. So war es vor der marktradikalen Verwahrlosung unserer einstmals gut aufgestellten Finanzarchitektur. Die Kommunen sind nicht ohne Grund Mehrheitseigner ihrer örtlichen Sparkassen. Diese Sparkassen müssen das in der Region generierte Kapital auch im Sinne des Gemeinwohls in der Region reinvestieren. Das tun sie schon lange nicht mehr. Fast jeder Sparkassendirektor träumt davon, Chef einer kleinen Universalbank zu sein. So endete die ruhmreiche Geschichte von 189 Jahren der Flensburger Sparkasse abrupt, als das Geld spekulativ verzockt wurde.

Der Schutz der Kleinanleger und des öffentlichen Vermögens muss von einer basisdemokratischen Post-Corona-Regierung energisch und sofort angepackt werden. Sollen die Reichen und die Schönen dieser Welt ihr Geld doch ruhig bei privaten Risiko-Instituten versenken. Da kann dann von mir aus auch eine Bafin noch siebenhundert Jahre weiterschlafen. Das geht uns dann nichts mehr an. 




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 41




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