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Interview

Aus der Sicht einer Jüdin

Lera K. im Interview über das Böse, den Gehorsam und die Moralität

Von Sophia-Maria Antonulas

DW: Seit wann engagierst du dich für Grundrechte und Demokratie in Deutschland und warum?

Lera K.: Meine Masterarbeit schrieb ich zum Thema Gewissen und moralisches Dilemma. Ich habe Soziologie sowie Bildungs- und Erziehungswissenschaft studiert, um herauszufinden, warum Menschen überhaupt zu Bösem fähig sind. Ich machte Familienforschung, sichtete Dokumente aus den Ghettos und den Konzentrationslagern. Immer auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie das möglich war. Durch diese eingehende Arbeit habe ich Anfang 2020 sofort die gleichen Mechanismen wie damals erkannt: moralische Drohungen aus der Machtposition heraus, Denunziation, Propaganda. So bin ich seit April des vergangenen Jahres mit dem Grundgesetz in der Hand auf der Straße.

Als Russland im vergangenen Jahr die Feier zum Tag des Sieges verschob, hast du für den 8. Mai selbst eine Demonstration in Hamburg angemeldet. Warum war dir das so wichtig?

Meine Großväter haben beide an der Front gekämpft, einer auch 1945 in Japan. Meine Großmutter hat die Blockade von Leningrad, das heutige St. Petersburg, überlebt. Sie waren immer mit Würde und Menschlichkeit an vorderster Front. Dabei haben sie nie verlernt, ihr Herz zu öffnen. Daheim haben wir nie gestritten, auch mit meiner Schwester nicht, so etwas kenne ich nicht. Wir haben musiziert und sind allem mit Gelassenheit begegnet, so bin ich aufgewachsen.

Du stammst also selbst aus St. Petersburg. Seit wann bist du in Deutschland? Und warum als Jüdin ausgerechnet dieses Land?

Ich bin 1995 als osteuropäische Jüdin nach Deutschland gekommen. Damals aus Liebe zu meinem Mann, der aus Israel hierher gekommen war. Wir wurden in Russland beziehungsweise der Sowjetunion nie gegen alle Deutschen oder das ganze Land aufgehetzt. Es wurde immer differenziert und betont, das waren die Faschisten. Mir wird immer wieder gesagt, hier gäbe es doch so viele Nazis. Ich frage dann zurück, wo denn?

Ich bin 46, meine beiden Kinder sind hier geboren und inzwischen erwachsen. Mittlerweile habe ich auch die deutsche Staatsbürgerschaft – von Olaf Scholz, dem heutigen Finanzminister, unterschrieben. Bei der Verleihung damals habe ich geschworen, die Grundordnung anzuerkennen und zu verteidigen. Ich bin sicher, dass ich mit dem, was ich jetzt tue, genau das mache. Ich bin es diesem Land schuldig, dass ich für das Grundgesetz eintrete.

Aber du wurdest dafür selbst als Nazi beschimpft?

Ja. Das ist absurd. Unter den Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen sind auch Juden. Wie können wir Nazis sein? Wir können uns doch nicht selbst leugnen. Dabei übersieht die deutsche Regierung, dass sie den Holocaust verharmlost, wenn sie es so darstellt, als ob wir, also jene, die das Grundgesetz, die Demokratie und Menschenrechte verteidigen, Nazis wären. Die Werte und Normen sind um 180 Grad verdreht. Was früher wichtig war, wie das Kindeswohl, ist heute vergessen. Im Gegenteil – was wir den Kindern antun ist unfassbar. Meine Tochter, sie ist 23, wurde geschupst, weil sie keine Maske trägt. Das war vor einem Jahr noch undenkbar. Die Kriminalität ist in die Öffentlichkeit und die Politik eingedrungen. Genau wie damals in den 30er Jahren.

Als das mit Corona anfing habe ich keine Nacht geschlafen. So einen Umgang mit alten Menschen kann ich nicht dulden. Wie kann man die Alten von ihren Familien trennen, das ist doch das einzige, was ihnen bleibt. Wenn man ihnen nimmt, was Freude macht, dann ist das Entmündigung. Dabei haben alle das Recht, selbst über ihr Leben zu entscheiden. Auch meine Mutter hat uns nie etwas vorgeworfen, nach dem Motto: Was wir machen, ist unsere Entscheidung. Das ist noch heute so. Das ist bedingungslose Liebe.

Du hast dich mit anderen Juden zusammengetan. Ihr habt einen Kanal auf telegram. Wie heißt der? 

Der heißt: Juden für Aufklärung, Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung. Denn kaum jemand hat unter einem Unrechtsregime so sehr gelitten wie die Juden. So sind die Juden wieder die ersten, die bei gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sensibilisieren wollen. Denn die Regierung hat keine wissenschaftlichen Beweise für all die Maßnahmen. Es herrscht Zerstörung, weil Neuaufbauen billiger ist, als Renovieren. Dabei werden wieder Millionen Existenzen zerstört.

Du hast dich intensiv mit Gehorsam und Moralität beschäftigt. Hast du eine Antwort auf die Frage gefunden, woher das Böse kommt? 

Ich kann es leider noch immer nicht erklären. Ich bin überzeugt, dass die Menschen an sich gut sind, die Natur steht über den Dingen. Menschen werden erst durch ihre Sozialisation böse. Eigentlich haben Hannah Arendt, Theodor Adorno und Stanley Milgram schon alles herausgefunden zu dem Thema. Sie haben aufgearbeitet, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und was der Faschismus möglich macht.

Selbst Bildung oder körperliche Nähe können uns vor Gräueltaten nicht schützen. Soldaten hatten mit Frauen in Konzentrationslagern Verhältnisse und unternahmen trotzdem nichts gegen deren Ermordung. Nur das Menschliche, die Menschlichkeit kann uns schützen. Es ist eigentlich die Aufgabe der Pädagogen, dass sich Unrecht nicht wiederholt. Aber was in Schulen heute passiert ist grauenhaft. Ich bin über die Lehrer bestürzt. Sie handeln nicht mehr zum Wohle des Kindes. 

Was wäre das Schlimmste für dich?

Meine größte Befürchtung ist, hundertprozentig zu wissen, dass mit den Impfungen Menschen wieder bewusst getötet werden. Und das 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Wo wir doch alles für die Erinnerungskultur getan haben. Wir haben das alles im Nu vergessen. So ein Unrecht. Warum sind sie so scharf darauf, alle zu spritzen? Ich weiß nicht, ob Israeliten in Gefahr sind. Den Tag will ich nicht erleben. Diesen Gedanken versuche ich zu verdrängen. Ich hoffe, dass das Bundekriminalamt all die Impftoten untersucht.

Worin siehst du deine Aufgabe?

Ich gehe davon aus, dass Menschen gut sind und dass wir ein besseres Miteinander erreichen. Ich denke und, falls notwendig, denke ich auch quer. Ich bin da aktiv, wo ich etwas ändern kann. Jeder macht, was er kann, so decken wir alle Bereiche ab. Ich möchte dazu beitragen, dass dieses Verbrechen sofort aufhört. Wir wissen nicht, wo der Punkt liegt, an dem das alles aufhört, umso wichtiger ist es, dass wir mit dem Protesten weitermachen. Denn Energie kommt davon, dass man etwas macht. Der Anfang ist, vom Sofa aufzustehen. 

Die Fragen stellte Sophia-Maria Antonulas. 




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 40 am 12. März 2021




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