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NEUES AKKUMULATIONSMODELLL — TEIL 1 - 3

VERHALTEN UND KÖRPER IM VISIER DES KAPITAL

»Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern.«

Von Andrea Komlosy und Hannes Hofbauer

Teil 1: — (DW N° 19)


Im Gefolge weltweiter Lockdown-Maßnahmen ist eine ökonomische Logik erkennbar. Der vordergründig wirr und verzweifelt wirkende staatliche Eingriff treibt ganze Branchen und viele eigentümergeführte Unternehmen in den Ruin, dient zugleich aber als Schrittmacher einer Wende menschheitsgeschichtlichen Ausmaßes. Es ist mehr, als ein einfacher Zyklenwechsel von einer Abschwungin eine Aufschwungsphase nach durchstandener Krise erwarten lässt. Der Lockdown 2020 beschleunigt den Übergang vom Industriezeitalter in ein neues, kybernetisches Zeitalter im Sinne einer Mensch-Maschine-Verbindung.

Das auf Sars-CoV-2 getaufte Virus ist dafür in doppelter Hinsicht zu einem Instrument geworden. Mit den autoritär verfügten Maßnahmen zu seiner Eindämmung wurden einerseits der Staat oder besser: seine exekutiven Organe enorm gestärkt und andererseits neuen Leitbranchen der Weg geebnet. Nur diese enge Verbindung von Staat und Kapital ist in der Lage, historische Änderungen im Akkumulationsregime zu bewerkstelligen. Dass es ausgerechnet ein Virus bzw. – genauer – seine Bekämpfung war, die dies bewerkstelligen kann, ist kein Zufall. Denn zum einen stößt die herrschende ressourcenverschleudernde Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft an ihre Grenzen – auch im physischen Sinn. Die Zurückdrängung der Wildnis bei gleichzeitigem Vordringen der Massentierhaltung erleichtert viralen Erregern das Überspringen der Mensch-Tier-Schranke, sodass Seuchenbildungen häufiger werden. Zum anderen arbeitet der biotechnisch-pharmazeutische Komplex – wie sein erfolgreicher Vorgänger, der militärisch-industrielle Komplex – konsequent an seinem Aufstieg. Nun scheint der Durchbruch zu gelingen.

 Von allergrößter Bedeutung dafür war, die Gefährlichkeit des Virus zu überhöhen, Angst und Panik zu verbreiten und damit möglichen Widerstand hintanzuhalten. Die Ortung des Feindes entspricht der eines Kriegsgeschehens, ausgerufen von der Politik und herbeigeschrieben von meinungsbildenden Medien. Als vielfach unterschätzte internationale Drehscheibe dieses Krieges muss die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geoutet werden, die sich in den vergangenen Jahrzehnten von einem internationalen Aufsichts- und Wachorgan zu einer Interessensvertretung pharmazeutischer Großkonzerne entwickelte.

VON DER VERWERTUNG DER ARBEITSKRAFT ZUR VERWERTUNG VON KÖRPER UND ERFAHRUNG

Der Weltwirtschaftskrise 2008 folgte eine lang andauernde Verwertungskrise des Kapitals. Ab Ende 2017 gingen die Produktionszahlen nach unten. Im Euro-Raum sank die industrielle Produktion im Dezember 2019, verglichen mit Dezember 2018, um 4,1 %, das gesamte Jahr 2019 brachte einen Einbruch von 1,7 % gegenüber 2018.1 Und in einem der wichtigsten alten Industriesektoren, der Automobilherstellung, war der Höhepunkt des Wachstums in den USA und Deutschland bereits 2016 und in China 2017 überschritten; ab 2018 ging es bergab. Mit anderen Worten: Der Industriekapitalismus steckte schon längere Zeit in der Krise, bevor der Lockdown diese in extremer Weise zuspitzte. Die Auftragslage der europäischen Industrie brach daraufhin in sich zusammen. In Deutschland sank sie zwischen Januar und April 2020 um unglaubliche 38 %. Weltweit verloren Hunderte Millionen Menschen ihre Arbeit. Und das Welternährungsprogramm der UNO schätzte bereits im April 2020, dass die Auswirkungen der Corona-Krise zu einer Verdopplung des Hungers in der Welt führen werden. In Menschenleben gerechnet: Statt der 135 Millionen Hungernden im Jahr 2019 wird deren Zahl auf 235 Millionen im Jahr 2020 ansteigen. Der Kapitalismus steckte seit 2008 in einer zyklischen Krise, die 2020 in nie zuvor dagewesener Art und Weise explodierte.

Grundsätzlich kommen als Lösung bei Verwertungskrisen des Kapitals drei Möglichkeiten infrage: Rationalisierung, Spekulation oder Markterweiterung. Rationalisierungen können mittels technischer Innovationen oder Kostensenkung durch Personaleinsparungen erfolgen. In die Sphäre der Spekulation weicht Kapital dann aus, wenn die sogenannte Realwirtschaft keine entsprechende Rendite verheißt. Markterweiterung findet in Form territorialer Expansion statt, die sowohl mittelsKriegoderdurchökonomischen Ausgriff – wie zuletzt im europäischen Kontext durch die EU-Osterweiterung – herbeigeführt werden kann. Markterweiterung spielt sich jedoch auch jenseits von Territorialitätsgewinn ab. Sie findet dann in zuvor nicht kapitalisierten Bereichen statt; im großen Stil geschieht das seit den 1990er-Jahren in der Daseinsvorsorge, wo zuvor ausschließlich staatlich oder gemeinschaftlich verwaltete Versicherungs- und Rentenmodelle sowie Gesundheit- und Pflegeeinrichtungen einer Privatisierung anheimfallen. Nun greift die Verwertung direkt auf den menschlichen Körper als solchen, sein Verhalten und seine Erfahrung zu.

In dieser Kommodifizierung von Körper und Erfahrung sehen wir eine kapitalistische Antwort auf die strukturelle Verwertungskrise. Die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung eines Virus unterstützen diesen Umbruch, aus dem neue Leitsektoren hervorgehen. Historisch passend zur Transformation der Wachstumsmotoren und der kapitalistischen Aneignungsform steht die Welt vor einer geopolitischen Verschiebung vom transatlantischen Zentralraum hin zur chinesischen Dominanz, sei sie hegemonial oder in einem noch auszuhandelnden multipolaren Rahmen. Die chinesische Wirtschaftsdynamik gibt dabei den Takt an. Auch die enge Verzahnung von Staat und Kapital in der Phase der Herausbildung eines neuen Akkumulationszyklus, dessen Durchsetzung politisch autoritär begleitet wird, folgt dem Pekinger Vorbild.

Das bisher herrschende kapitalistische Gesellschaftsmodell fußt auf der menschlichen Arbeitskraft bzw. deren Ausbeutung. Ihre Aneignung über den Mehrwert gilt nicht nur in marxistischer Sichtweise als Schwungrad der Kapitalakkumulation, als Triebkraft des Profits. Im Zuge der kybernetischen Wende geraten zunehmend das menschliche Verhalten, seine Erfahrungen sowie der menschliche Körper in den Verwertungsprozess. Sie verbinden sich mit der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft als Quelle der Aneignung und lösen diese in ihrer Bedeutung sukzessive ab.

MENSCHLICHES VERHALTEN ALS VERWERTBARER ROHSTOFF

Die schiere Datenmenge, die jede und jeder von uns tagtäglich über digitale Kanäle an deren Betreiber liefert, bilden den Rohstoff, aus dem ein neuer Akkumulationsschub entsteht. Gratis und »freiwillig« bzw. per Androhung des Ausschlusses aus gesellschaftlichen Bereichen entstehen bei jeder Kommunikation im Netz menschliche Profile, die milliardenfach zusammengeschnürt hohe Profitraten versprechen und damit dem Kapitalismus einen Weg aus der Krise weisen. Zwar existiert dieses Geschäftsmodell, bei dem entsprechende Datensammler wie Google oder Facebook monopolartig agieren, bereits seit 15 bis 20 Jahren; doch im Zustand des Corona-Lockdowns hat sich die Datenablieferung vervielfacht und beschleunigt. Online-Käufe, Bestelldienste, Kommunikationsplattformen und digitale Bezahlsysteme konnten durch Ausgangssperren und Distanzgebote einen staatlich verordneten Anschub verbuchen, der – den Umständen entsprechend – als alternativlos dargestellt wurde. Auch im Homeoffice, auf Videokonferenzen und beim digitalen Lernen und Lehren brummte das Geschäftsmodell der Datensammler. So wurde den Menschen ein Verhalten aufgezwungen, bei dem sie notgedrungen Bedürfnisse, Erfahrungen und Verhaltensweisen offenlegen. Diese sind der Rohstoff für ein neues Akkumulationsmodell, das auch nach dem Einüben im Lockdown den Post-Corona-Alltag bestimmen wird.

Der Plattform-Kapitalismus verwandelt Erfahrungswissen in Marktwissen und Kontrollwissen. Das durch die Auswertung von Verhaltens- und Nachfragedaten entstandene Wissen über die NutzerInnen bietet die Grundlage zur Entwicklung von neuen Produkten und und personalisierten Angeboten, die maßgeschneidert an Bedürfnisse angepasst werden. Die Erfahrungen von Hunderten Millionen Menschen dienen im Plattform-Kapitalismus zur Kommodifizierung, das heißt Verhaltensweisen werden in Ware umgesetzt, die gezielt an Unternehmen (oder auch an Einzelkunden) verkauft wird. Die gelieferten Daten haben aber noch eine weitere Funktion. Sie dienen der Kontrolle im Sinne von individueller und gesellschaftlicher Optimierung, angefangen vom Wohlergehen des Einzelnen über die Volksgesundheit bis zur totalen Überwachung. »Anstatt von Arbeit nährt der Überwachungskapitalismus sich von jeder Art menschlicher Erfahrung«, schreibt dazu die US-amerikanische Ökonomin Shoshana Zuboff.



Teil 2: GESCHÄFTSFELDER GENETISCHE MODELLIERUNG DUND KÜNSTLICHE IMMUNISIERUNG  (DW N° 20)


Der menschliche Körper bietet in mehrfacher Hinsicht einen verwertbaren Rohstoff im kybernetischen Zeitalter. 

Biotechnik und digitale Assistenz im Alltag machen ihn steuer- und optimierbar. Die Optimierung seiner Funktionen kann dabei in vielen Bereichen des Gesundheitswesens, der Fitness und der Ästhetik Platz greifen. Sie setzt sich mit der digitalen Steuerung der Wohnung im Smart Home und der Mobilität in der Smart City fort. Dazu versprechen Möglichkeiten einer genetischen Modellierung vollkommen neue Lebensplanungen von der Reproduktion über den Umgang mit Krankheit und Behinderung bis zur Blockierung von Alterungsprozessen, die allesamt zu verkaufbaren Waren werden. Die Corona-Krise bietet dafür unter dem Deckmantel der medizinischen Notwendigkeit einen hervorragenden Einstieg.

Die menschliche Gesundheit bzw. Krankheit ist eines der zukünftig vielversprechendsten Einfallstore im Sinne neuer Kapitalverwertung. Ein wesentlicher Baustein dafür ist die künstliche Immunisierung, über die seit dem staatlich geschürten Ausbruch der Corona-Panik jede Nachrichtensendung berichtet. Der 12. April 2020 war in dieser Hinsicht für das deutschsprachige Publikum ein ebenso wegweisender wie verstörender Moment. Ausgerechnet am Ostersonntag, an dem die weströmische Christenheit der Auferstehung von Gottes Sohn gedenkt, räumte die reichweitenstärkste deutsche Nachrichtensendung im Rahmen der ARD-Tagesschau einem neuen Heilsbringer zehn Minuten für seine Botschaft ein. Wohl nicht zufällig an diesem Tag der Auferstehung Jesu Christi verkündete der Vorsitzende der weltweit kapitalkräftigsten Stiftung, Bill Gates, hoffnungsfroh ein neues Licht in dunkler Zeit, den Impfstoff gegen Sars-CoV-2. »Wir werden den zu entwickelnden Impfstoff letztendlich sieben Milliarden Menschen verabreichen«, verspricht er über den Interviewer, der wie ein Ministrant wirkt, dem im Lockdown befindlichen Publikum. Sein einziges Asset, das ihn zu einer solchen, vom Staatsfernsehen verbreiteten Autorität verhilft, ist die Menge an Kapital, über die er verfügt; medizinische, politische oder soziale Kenntnisse wären nicht ausreichend, damit ihn die ARD-Chefredaktion in die ostersonntägliche Hauptabendsendung eingeladen hätte. Sein obszön großes Vermögen von geschätzten 110 Mrd. US-Dollar übertrifft die Jahresbudgets einer ganzen Reihe von EU-Staaten wie Polen, Portugal, Griechenland, Tschechien, Ungarn, Rumänien oder Irland. Einen Teil davon widmet er – zusammen mit seiner Frau Melinda, seinem Sohn William und dem Börsianer Warren Buffett – im Rahmen seiner Stiftung der Optimierung des menschlichen Körpers. Weltweit durchgeführte Test- und Impfprogramme bilden dafür die Basis.

Voraussetzung für den Erfolg dieser Bemühungen ist der Verlust natürlicher Abwehrkräfte, wie er in den vergangenen Jahrzehntenbeobachtetwerdenkonnte. DazuhabendiezunehmendeSterilisierung im Alltag ebenso beigetragen wie die allgemeine Schwächung menschlicher Widerstandskraft durch Luft- und Lichtverschmutzung, Feinstaub, Angst und Stress.

Zur Durchsetzung von globalen Test- und Impfprogrammen haben Gates & Co. ein Netz aus Gesundheitsorganisationen, Politik und Medien geflochten, das nun seiner ökonomischen Realisierung harrt. Ob Gates selbst davon profitiert oder sein Einsatz philanthropischer, also menschenfreundlicher Natur ist, wie immer wieder behauptet, ist dabei zweitrangig. Seine Kapitalbeteiligungen an Pharmariesen wie Merck, Novartis und Pfizer werden ihn für sein Engagement belohnen. Die Tür ist jedenfalls aufgestoßen für ein weites Feld an Verdienstmöglichkeiten am menschlichen Körper.

Der Gründer und Mastermind des Davoser Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, der über die Exklusivität der jährlich stattfindenden Elitenveranstaltungen wacht, wies bereits anlässlich des Treffens im Jahre 2016 darauf hin, dass das zukünftige Merkmal der kapitalistischen Verwertung nicht mehr in erster Linie die Veräußerung und Aneignung der menschlichen Arbeitskraft ausmacht, sondern den Menschen an sich: »Eines der wesentlichen Charakteristika der vierten industriellen Revolution ist, dass sie nicht mehr verändert, was wir machen und erarbeiten, sondern dass sie uns selbst verändert.«

NEUE LEITSEKTOREN DES MANBRIC-KOMPLEXES

In einem zukünftig kybernetischen Zeitalter sind Technologien vorherrschend, die Anpassungsfähigkeit, Selbststeuerung, Rückkoppelung, Kontrollierbarkeit, Miniaturisierung sowie individuellen und situativen Ressourcen- und Energieeinsatz gewährleisten. Der Mensch wird durch Automaten, Roboter und Künstliche Intelligenz, die die Maschinen miteinander koordiniert, zunehmend aus den Kernbereichen der materiellen Produktion sowie der Dienstleistungen verdrängt. Er kommt einerseits im »Interface« mit den Maschinen als hoch qualifizierter Techniker und in der Planung der Arrangements zum Einsatz, andererseits als unqualifizierte,prekäreArbeitskraftinBereichen, indenendieMaschinenichteinsetzbar ist. So wird die Unkalkulierbarkeit des Produktionsfaktors Mensch, der seine physische Verletzlichkeit gegenüber dem Virus gerade offenbarte, durch den Ausbau von Künstlicher Intelligenz kompensiert.

Die russische Forschergruppe um Leonid und Anton Grinin sowie Andrej Korotajev vom »Eurasischen Zentrum für Globalgeschichte und Systemprognosen« arbeitet bereits seit längerem an konkreten Methoden, um auf der Basis historischer Veränderungen Schlussfolgerungen für Zukunftsszenarien zu entwickeln. Grinin und Korotajev sprechen in diesem Zusammenhang vom MANBRIC-Komplex, dem sie Medizin, additive Fertigung, Nanotechnik, Biotechnik, Robotik, Information und kognitive Bereiche zuordnen. Die Abkürzung umschreibt die wichtigsten Zukunftsbranchen im kybernetischen Zeitalter, die nicht nur neue Produkte (wie beispielsweise künstliche Körperteile, Test- und Impfstoffe sowie Steuerungs- und Überwachungsgeräte) hervorbringen, sondern auch eine neue Nachfrage nach persönlicher Optimierung schaffen. Damit sind die Leitsektoren für das neue kybernetische Zeitalter benannt, die gleichsam als Trägerraketen des Übergangs fungieren. Sie weisen gleichzeitig den Weg aus der zyklischen Krise der Kapitalverwertung, die durch den Lockdown zugespitzt wurde.

Pharmariesen wie die Schweizer Konzerne Novartis und Roche oder das französische Unternehmen Sanofi verbuchten im 1. Quartal 2020 dem damals allgegenwärtigen Corona-Hype geschuldete Rekordgewinne. Novartis wies in seinem Geschäftsbericht ein Gewinnplus von 24 Prozent oder 2,17 Milliarden US-Dollar aus. Der weltgrößte Arzneimittelhersteller Roche schaffte immerhin ein Umsatzplus von 7 Prozent. Und der französische Pharmariese Sanofi machte zwischen Januar und März 2020 um 48 Prozent mehr Gewinn als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. 30 Prozent plus waren es für den britischen Konzern AstraZeneca; auch Amgen und Eli Lilly (USA) sowie Bayer (Deutschland) konnten Umsatz und Gewinn markant steigern. Weitere Höhenflüge wurden im Online-Handel, im Datenmanagement, bei Programmen für E-Learning, Videokonferenzen und digitale Kommunikationerzielt,dieaufDatenderUserInnen beruhenundmitderenVermarktungbei Produktentwicklung und Werbung neue Geschäftsfelder eröffnen.


Teil 3: OHNE STAATSHILFE GEHT NICHTS: CORONA-KEYNESIANISMUS  (DW N° 21)


Im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 hat sich für alle, die es sehen wollten, die Herausbildung autoritärer Regierungsformen beschleunigt.

Diese waren zuvor nicht nur in autoritären Staaten wie in der Türkei, Russland oder China zu beobachten, sondern auch in Ländern wie Frankreich und Österreich bereits im Vormarsch. Emmanuel Macron und Sebastian Kurz stehen – ungeachtet ihrer parteipolitischen Herkunft – schon länger für eine politische Machtverschiebung weg von der parlamentarischen Legislative hin zu einer immer selbstherrlicher agierenden Exekutive, wobei beide Männer zusätzlich die Parteien, aus denen sie hervorgegangen sind – Macron aus dem sozialdemokratischen Parti Socialiste und Kurz aus der konservativen ÖVP – nachhaltig beschädigt und langfristig obsolet gemacht haben.

Die Ausrufung von Ausnahmezuständen im Frühjahr 2020, auch wenn sie nicht in allen Ländern so genannt wurden, trug zur Festigung eines staatlichen Krisenmanagements bei, das Verfassungen außer Kraft setzte und demokratische Entscheidungsprozesse, so kritikwürdig viele schon zuvor gewesen waren, nun gänzlich umging. Im Namen der Volksgesundheit umgaben sich verantwortliche Präsidenten und Minister mit Klüngeln ausgesuchter medizinischer Experten, um im engsten Kreise ad hoc Verordnungen zu beschließen, die das soziale und kulturelle Leben zum Stillstand brachten und weite Teile der Wirtschaft nachhaltig beschädigten bzw. zerstörten. Die Maßnahmen wurden als alternativlos dargestellt, abweichende Expertenmeinungen ignoriert bzw. diffamiert und aufkeimende Debatten mit dem Totschlagargument »Verschwörung« erstickt.

Zugleich stellte der Staat unzählige Unterstützungsmaßnahmen bereit, um die durch den Lockdown verursachten Verdienstausfälle von Unternehmen und Arbeitskräften zu kompensieren. Kleinere Summen wurde unkoordiniert und helikoptermäßig über Geringverdiener ausgeschüttet, um Unmut und Protest zu ersticken. Der Staat griff mit den Lockdown-Verordnungen ebenso wie mit den Hilfsmaßnahmen tief in die ökonomische Sphäre ein. Dabei begünstigte der Stillstand genau jene Sektoren, die die Verwertungsblockade des Kapitals lösen können.

Auch die Europäische Union beteiligte sich an dieser Förderungspraxis, als sie – auf Zuruf der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung – am 4. Mai 2020 per Videokonferenz beschloss, in Windeseile 7,4 Mrd. Euro aufzubringen, um damit die drei großen unter dem Einfluss der Pharmaindustrie stehenden Organisationen mit Kapital auszustatten. Das Geld floss zu etwa gleichen Teilen in die WHO, die am Weltwirtschaftsforum in Davos gegründete Impfallianz GAVI und die ebenfalls dort ins Leben gerufene Epidemie-Koalition CEPI. Allen drei gemeinsam ist im Übrigen die starke Kapitalpräsenz der Gates-Stiftung.

Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring schreibt zur Corona-Geberkonferenz vom 4. Mai 2020: »Lange musste Gates der UN und den Regierungen Geld geben, um die Welt mitregieren zu dürfen. Nun dreht sich das um.« Und weiter: »Wenn Regierungen Steuermilliarden für Gates und Weltwirtschaftsforum einsammeln, haben die Konzerne die Weltregierung übernommen.« Auch die Präsidentin von »Brot für die Welt«, Cornelia Füllkrug-Weitzel, kritisierte gegenüber dem Sender SWR die lockere Hand, mit der jene finanziert werden, die von der Krise profitieren: »Diejenigen, die sicherstellen, dass die Menschen auch wirklich geheilt werden, die sitzen alle nicht mit am Tisch. Es sitzen die am Tisch, die jetzt verdienen können.«

In so gut wie allen EU-Ländern, voran Deutschland, Österreich und Frankreich, kam und kommt weiterhin staatliches Geld zur Ausschüttung, wobei neben Hilfsprogrammen zur Abfederung sozialer Katastrophen vor allem den neuen Leitsektoren unter die Arme gegriffen wird. Dabei geht es neben Krediten in Milliardenhöhe auch um direkte staatliche Investitionen, wie das Beispiel des Biotechnik-Unternehmens CureVac zeigt.

Mitte Juni 2020 verkündete der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier den Einstieg der staatseigenen Förderbank KfW beim Tübinger Konzern. Für 300 Millionen Euro erwarb die Bundesrepublik Deutschland gerade einmal 23 %, um, wie es hieß, im Rennen um einen Corona-Impfstoff international mitlaufen zu können. Der Mehrheitseigentümer Dietmar Hopp, mit geschätzten 10 Mrd. US-Dollar einer der reichsten Männer Deutschlands, braucht damit keine Sperrminorität des Staates in seinem Unternehmen zu befürchten.

IM KRIEG, ABER GEGEN WEN?

Diese Art von staatlich organisiertem Kapitalismus auf Corona-keynesianischer Basis erinnert an den Militärkeynesianismus in Kriegszeiten. Und im Krieg wähnen sich die Staatschefs vieler EU-europäischer Länder ohnedies, im Krieg gegen das Virus. Dazu passen auch Gedenkfeiern, wie sie in Frankreich, Italien und Spanien abgehalten wurden. Während Bomber über den Champs-Élysées donnerten und das offizielle Paris seiner Corona-Toten am Nationalfeiertag des 14. Juli gedachte, ehrten der spanische König und seine sozialdemokratische Regierung zwei Tage später die an oder mit Covid-19 Verstorbenen wie Kriegsopfer. In Anwesenheit von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ließ es sich Felipe VI. nicht nehmen, einen der »Gefallenen« besonders hervorzuheben, den Journalisten José Maria Calleja. Sein halbes Journalistenleben hatte er gegen die baskische Separatistenorganisation ETA angeschrieben, die ihn dafür mit dem Tod bedrohte. Diesen Kampf, so Felipe VI., gewann er, gegen das Virus hat er letztendlich verloren.

Inszenierungen wie diese sind Ausdruck einer autoritären Staatlichkeit, die Feinde und Feindbilder braucht, um sich als Retter vor diesen darstellen zu können. Das Virus gibt ein ideales Instrument dafür ab; im Kampf gegen Sars-CoV-2 stehen Kapital und Staat zusammen. Letzterer hat sich zur Aufgabe gestellt, auch das Volk in diesen Schulterschluss miteinzubinden. Dass dies gelingt, ist allerdings keineswegs ausgemacht. Denn die Zeitenwende hält harte soziale Einschnitte und mögliche weitere Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung des neuen, kybernetischen Akkumulationsmodells bereit. Widerstand dagegen ist denkbar – und möglich.



Exklusiver Vorabdruck im DW 



Hannes Hofbauer ist Verleger, Journalist und Autor. Andrea Komlosy ist Historikerin und Publizistin in Wien. Sie trug u.a. bei zu den Anthologien »Sag alles ab!« (Edition Nautilus, Hamburg 2015) und »Das Kapitalis- mustribunal« (Passagen Verlag, Wien 2016). 

»Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern«, herausgegeben von Hannes Hofbauer und Stefan Kraft im Promedia Verlag Wien, erscheint Anfang Oktober. 

Das Buch mit der ISBN 978-3-85371473-7 sowie das E-Book mit der ISBN 978-3-85371881-0 können ab sofort im lokalen Buchhandel vorbestellt werden. 




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 21 am 02. Okt. 2020




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